Donnerstag, 31. März 2011

Der Ausflug in den Urwald


Seit  gestern ist Elvio mal wieder in Iquitos. Ich habe einiges am Laptop zu erledigen, in der Zeit, in der er nicht hier ist. Doch da gestern die Sonne nicht schien, gab es heute keinen Strom um das Laptop zu laden. Somit hatte ich einen freien Tag! Ich überlegte mir zusammen mit Lara wie man diesen Tag gut nützen könnte und so fragen wir jemi, einen guten Freund von Elvio, ob er uns auf eine kleine Bootstour mitnimmt. Er willigt ein und so brechen wir auf, mit einem ausgeliehenen Kanu, doppelten Klamotten, jeans, Nobite geschützt und mit vorgekochtem Reis und Papajas auf und fahren über den großen Fluss, bis wir an einer kleinen Einmündung in einen Seitenarm abbiegen. Die Sonne scheint und ich habe mir den perfekten Tag für dieses Vorhaben ausgesucht. Die kleine Einmündung ist kaum zu entdecken. Sie ist von Millionen von Seerosenähnlichen Pflanzen und Schilf zugewachsen. Langsam bahnen wir uns den Weg durch diesen Eingang und schließlich ist der Fluss wieder frei und wir können in Ruhe weiterfahren. Links und rechts vom Ufer erstrecken sich riesige Bäume und man kaum in den dichten Urwald hineinsehen. Man sieht so viele Dinge und hat unendlich viele Eindrücke. Kleine Affen sitzen in einem hohen Baum und essen Früchte. Die Kerne lassen sie fallen und sie platschen ins Wasser. Sie spielen und schwingen sich geschickt und schnell von Ast zu Ast. Hoch oben in einem Baum sitzt ein großer Adler und beobachtet das Geschehen aus sicherer Entfernung in Ruhe. Als wir näher kommen fliegt er mit riesigen Schwüngen davon. Etwas später kommen wir an einem etwas ruhigerem Tier vorbei: ein Faultier versteckt sich in einem etwas kleinerem Baum. Es hält sich mit einem Arm am Ast fest und hat die Beine über den Baum geschlagen. Mit der freien Hand versteckt es sein Gesicht, denn es schläft und möchte nicht gestört werden. Was würde man auch sonst von einem Faultier erwarten? Ich erfahre, dass diese Art nur die Früchte von zwei verschiedenen Bäumen frisst. Die Früchte werden nur sehr langsam verdaut und beginnen im Bauch zu gären. Das Faultier ist förmlich betrunken und muss seinen Rausch ausschlafen.
Der Fluss ist voll von Fischen. Große Schwärme schwimmen knapp unter der Wasseroberfläche und bringen das Wasser zum Kräuseln. Jemi nimmt seinen Fischerspeer, ein langer Stab, an dessen Ende sich drei mit wiederhaken versehene Nägel befinden. Ganz ruhig wartet er den richtigen Moment ab und wirft ihn dann flach in das Wasser. Treffer! Zwei Fische hängen an den Haken. Dieses Schauspiel wiederholt sich einige Male, bis wir ein gutes Mittagessen zusammen haben. Er erklärt, dass man bei einem so großen Fischreichtum kein Köder brauche. Man könne einfach mit der Machete in das Wasser schneiden oder mit einem Stock direkt im Wasser einen Fisch erschlagen. Die Fahrt geht weiter, wir fahren unter Bäumen hindurch, die tief im Wasser verwurzelt sind. Zurzeit ist das Wasser sehr hoch, doch für die ganzen am Ufer gebauten Dörfer besteht noch keine Überschwemmungsgefahr. An hohen Bäumen, die einen weißlichen Stamm haben, sieht man, dass das Wasser in anderen Jahren auch noch weitere zwei Meter gestiegen ist. Schließlich kommen wir an einer Stelle an, die einen anderen Fisch verspricht. An eine schlichte, selbstgebastelte Angel mit Büroklammer als Haken wird ein Köder Befestigt. Sobald der Köder in das Wasser taucht, wackelt und zappelt es. Jemi zieht heftig- und an der Angel hängt ein großer Piranha. Es ist beeindruckend, wie gut die Einheimischen hier wissen, in welchen Gebieten sich welche Tiere aufhalten. Bei der Weiterfahrt muss man aufpassen, dass die geangelten Piranhas nicht in die Nähe der anderen Fische gelangen, denn sonst holen sie sich noch im Boot ihre „Henkersmahlzeit“. Man merkt, dass wir immer weiter von der Zivilisation wegkommen, mehr und mehr Moskitos vorfolgen uns und wenn man einmal eine Ruderpause macht, dann fliegen sie einem wie verrückt um den Kopf und suchen nach Lande- bzw. Stechmöglichkeiten. Ich werde schier verrückt mit 1000 wildgewordenen Stechmücken und ziehe mir zur Beruhigung meine Regenjacke über. Doch bei 30 Grad, feuchter Luft, starker Sonne und gleichmäßigem Rudern wird mir schnell glühend heiß in meiner mobilen Sauna. Wir werfen zwei Netze aus, kleine, grobmaschige Netze, in denen sich die Fische verhaken sollen. Dazu bindet Jemi das Eine Ende an einen Kleinen Ast und ich soll exakt gerade rückwärts navigieren. Doch das ist nicht gerade einfach. Ich muss das Wasser im Auge behalten, dass wir nicht gegen einen Baum im Wasser fahren, gleichzeitig aber auch Jemi beobachten, damit ich nicht zu schnell- oder zu langsam fahre. Schließlich ist das ca. 50 Meter lange Netz ausgeworfen und festgemacht.
Fast das gesamte Gebiet steht unter Wasser, doch unter einem großen Baum, mit tiefhängenden Ästen geht eine Kleine Böschung ab und wir gehen an Land. Es ist Himmel und Hölle zugleich: ein traumhafter Ausblich in den Regenwald und gleichzeitig wird man gejagt von unendlich vielen Moskitos. Ich entscheide mich die Situation als paradiesisch aufzufassen und ziehe meine Regenjacke aus, denn gestochen werde ich so oder so. Wir machen ein Feuer um unser selbstgefangenes Mittagessen zu braten. Da es im Regenwald keine Feuerstelle gibt, hat Jemi seine eigene Taktik, Feuer zu machen. Er legt eine Grundschicht aus dicken, parallelliegenden Stämmen. Darauf werden nach obenhin immer kleiner werdende Äste gelegt, ebenfalls in eine Richtung. Mit der Machete werden von einem mehr oder weniger trockenen Baum kleine Holzspäne abgeschlagen. Nach nur einem Streichholz brennt das Feuer. Der Qualm, dem man im deutschen Wald lieber aus dem Weg geht, ist hier eine Wonne, denn Moskitos findet man in den Rauchschwaden nicht! Wir wärmen den vorher schon gekochten Reis auf und Grillen die frischgefangenen Fische. Es ist köstlich! Danach machen wir uns auf und laufen durch den Urwald. Es ist unheimlich: Grillen zirpen so laut, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen kann, Hölzer knacken und die Vögel hoch oben in den Bäumen warnen ihre Artgenossen vor unserer Ankunft. Es ist erstaunlich Dunkel. Der strahlend blaue Himmel kommt nur an sehr wenigen Stellen durch das dichte Laubdach hindurch. Im Vergleich zum deutschen Wald ist der Regenwald pures Chaos, voller Leben, überall hängen Lianen von den Bäumen, die man als Seil benutzt, um Hausdächer zu befestigen, es gibt Bäume für Feuerholz, für Wände oder für Möbel, Lianen zum Körbe und Stühle flechten, Palmen für Fußböden, Rinde gegen Husten oder Bauchschmerzen. Auf dem lockeren, luftigen und leichten Waldboden laufen Blattschneiderameisen auf einem handbreiten „Trampelpfad“. Sie tragen 1Euro stück große Blätter, aus denen sie sich ihren Bau bauen, ein riesiger Berg, der fast so hoch wie ich ist und einen Durchmesser von 10 Metern besitzt. Die Oberfläche ist bedeckt von geschnittenen Blättern und einige Löcher bilden die ein- bzw. Ausgänge der Riesenameisen. die Bäume stehen sehr eng bei einander, wenn man nur 20 Meter läuft, bietet sich schon wieder eine ganz neue Situation, ein neuer Anblick! Es gibt Bäume die keinen Stamm vom Boden aus haben, sondern unzählige Wurzeln, die sich auf einem Radius von 5-10 Metern erstrecken, aus denen sich auf einer Höhe von 4-5 Metern ein Stamm bildet. Eine Wurzel eines anderen Baumes  ist unterarmdick und hängt wie ein Tau von einem Baum zum Nächsten. Sie ist elastisch und so stark, dass ich mich an ihr hin- und herschaukeln kann. Eine Efeupflanze hat sich um einen Starken, alten Baum gelegt und verschlingt ihn förmlich. Damit wir uns nicht verirren schlägt Jemi alle paar Meter ein Loch in die Rinde der Bäume. Bei der Rückkehr werden diese Wunden rot bluten und uns den Weg zurückweisen. Er fällt einen kleinen Baum und erklärt, dass man aus den Astgabeln dieses Baumes einen Mixer machen kann, um Kochbananen etc. beim Kochen zu häxeln. Alles wird kreativ verarbeitet! Wir ernten verschiedenste Früchte, als wären wir in einem Selbstbedienungsladen. Jemi erklärt, dass an in diesem Gebiet vor 100 Jahren ein Volk gelebt hat und dass im Boden sich noch Tonscherben befänden. Nicht eine „Grabeminute“ mit der Machete vergeht, bis er drei kleine Stücke eines Tongefäßes findet, ich bin sehr beeindruckt! Von der Vielfältigkeit der Natur, aber auch das Jemi alles so schnell und Zielstrebig findet. Als hätte er die Scherben vor einer halben Stunde dort eingegraben! Nach einer Stunde Fußmarsch -und heftig mit den Armen wedeln, machen wir uns langsam wieder auf den Rückweg. Wir suchen die Netze und Jemi findet sie sofort unter einem von vielen für mich gleichaussehenden Bäumen. Langsam und vorsichtig werden die Netze wieder eingeholt, 7 große und 6 kleine Fische haben sich darin verhakt.
Nach einer halben Stunde sind wir wieder auf dem großen Fluss und die Sonne kommt wieder zum Vorschein. Am Himmel fliegen Papageien. Eine bestimmte Sorte, die man niemals alleine sieht. Sie fliegen immer zu zweit in einer mini Formation, selbst ein großer Schwarm besteht aus vielen einzelnen Vogelpaaren. Sie haben ein gelb-blaues Federkleid und fliegen sehr hoch oben. Ein riesiger Vogel fliegt knapp über dem Wasser an uns vorbei. Jemi erzählt, dass dieser Vogel Hühner fressen würde und dass man u.a. deshalb die Hühner des Dorfes nachts einsperren muss. Wir kommen wieder zum versteckten Eingang des Flussarmes und Jemi sagt, dass der Grund für das Auftauchen der ganzen Seerosen der blockierte Flussarm sein. Seerosen  haben ein Wurzelgeflecht gebildet, das sich vom einen Ufer zum anderen erstreckt. In ihm bleiben die Seerosen hängen und können nicht weiter mit der leichten Strömung schwimmen. Mit der Machete schlagen wir immer kleine Stücke aus dem Schilf und schlagen so langsam eine kleine Schneise in den Wurzelteppich. Auch an Ästen von ins Wasserhängenden Bäumen bleiben sie hängen und in der Summe versperren sie den Weg. Doch um diese Oberschenkeldicken Äste abzusägen brauch man keine Motorsäge, mal wieder ist die Machete die Lösung des Problems. Die im weg hängenden Äste sind weg und die Seerosen können wieder fließen- die Blockade scheint gebrochen.  Schon bald ist in der Ferne SMT zu sehen. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir Casa Lupuna sich gleich beim Schwimmen in den Sonnenuntergang entspannen.
Als ich am nächsten Tag aufwache kratzen meine Beine und Hände wie verrückt. Trotz Nobite imprägnierter Jeans, Sonnencreme und „Antimoskitospray“ zähle ich 120 Stiche auf meinem rechten Bein Knieabwärts. Meinen Händen ist es nicht besser ergangen, auf der rechten Hand zähle ich 40 Stiche und Sonnenbrand.
Die Natur ist gewaltig!
Adler

Ameisenbau

Der Fluss

Banaenbäume



Baum mit Selbstverteidigung

Wurzeln in der Luft

Blutender Taum mit Moskito

Vom Wasser ist stellenweise nicht viel zu sehen

Der Fluss

Ein von Efeu verschlungener Baum

Über dem "Lagerfeuer" wird der selbsgefangene Fisch Gegrillt

Fische springen aus dem Wasser, in dem Moment, als der Speer das Wasser durchbricht

Das ausgelegte Netz

Der Fang

Die wahnsinnig lauten Grillen

Ich beim Rudern

Überall geschützt, nur die Hände bleiben nicht verschont


Kochen mit Topflappen aus dem Regenwald

Jemi im Wurf

Baum auf Stelzen

Wurzelparadies

Der Lupuna Baum

Aus diesem BAum lässt sich sehr einfach ein Quirl herstellen

Das Netz wird eingeholt

Die Vögel, die immer nur Paarweise zu finden sind

Piranha fischen

Piranha

Plötzlich fängt es an zu regnen

Die Blüte der Seerosen

Mit Lianen lassen sich wunderbar Dächer befestigen, doch davon ein andermal



Am Baum kann man die Wasserhöhe der letzten Jahre sehen

Der Baum der den Weg versperrt, wird einfach mit der Machete zerteilt

Der Fluss ist freigeschnitten, ir können passieren








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