Dienstag, 27. Dezember 2011

Kritische Sichtweisen


Nun ist also meine Zeit als Volontär schon wieder vorbei und es war ein Wunderschönes Jahr, mit Unzähligen Erfahrungen. Es hat sehr Spaß gemacht, mit Pro Vita Andina zusammenzuarbeiten, wir konnten vieles erreichen, doch leider nicht so viel wie ich mir erhofft habe. Im Folgenden möchte ich einige Gründe dafür analysieren.
San Martin ist eine kleine Gemeinde, die in einem Teil des Amazonasgebietes liegt, die vom Staat als einer der ärmsten im Land eingestuft wurde. Doch laufe ich durch das Dorf, so sehe ich meist gut beleibte Personen, an Nahrungsmitteln fehlt es wohl nicht. In den Abendstunden laufen sehr oft Stromgeneratoren hinter den Häusern, an die dicke Stereoanlagen und Fernseher angeschlossen sind. Das macht mich stutzig. Wie kann sich jemand Benzin für seinen Generator leisten und große technische Anschaffungen, doch auf der anderen Seite klagt man, das Geld würde nicht reichen, um Benzin für die Fahrt in das Gesundheitszentrum zu kaufen.
Fast jedes zweite Wochenende gibt es Fußballturniere, in denen die Mannschaften eine hohe Anmeldegebühr zahlen müssen. Nachts sind die Bars voll mit Kartenspielern und Geld für Alkohol scheint auch ausreichend vorhanden zu sein. Woran fehlt es dann in San Martin?
Wenn ich mit den Familien spreche, und versuche ein bisschen nachzuforschen, dann merke ich, das die Leute überhaupt keine Vorsorge haben, sie leben im jetzt und heute, auf die Idee zu kommen, Geld für Notfälle zur Seite zu legen, oder medizinische Vorsorge zu betreiben und ich stoße oft auf taube Ohren. Doch selbst aus Notfallsituationen wird kaum gelernt und man macht genauso weiter wie zuvor!
Es gibt einige Dinge, die können und wollen viele Leute nicht lernen.
Projektplanung: es gibt viele tolle Ideen, die aus der Gemeinde kommen! Man könnte viele davon verwirklichen, doch wenn ich sage, die Person solle seine Ideen mal zusammenfassen, aufschreiben und einen groben Kostenvoranschlag machen und mich fragen, wenn er Hilfe braucht, dann kommt meist nie wieder irgendwas!
Relation bei Geld: hier im Dorf haben wir ein Hühnerprojekt. PVA zahlt einen Experten, der den Leuten im Projekt alles zum Thema Hühnerzucht beibringt. Ein gesundes großes Huhn bringt auf dem Markt 20-25 Soles. Angenommen, jemand hat 20 Hühner, hätte er ein Einkommen von mind. 400Soles. Zurzeit ist die Pest im Dorf ausgebrochen und fast alle Hühner sterben dahin, nur weil die Leute keine 20 Cent pro Huhn für eine Impfung investieren wollen. Sie fangen einfach wieder von vorne an und sagen, dass ihnen 20 Cent X 20= 4 Soles zu viel Geld sei. Dass ihnen gerade mind. 396 Soles gestorben sind verstehen sie nicht!
Auch sehr schwierig ist es, Leute zu finden die Verantwortung übernehmen, PVA hat z.B. einem Krankenpfleger seine Ausbildung finanziert, in der Hoffnung, er würde später Verantwortung über eine geplante Gesundheitsstation nehmen, doch er scheint jetzt davon nichts mehr hören zu wollen und eine Gesundheitsstation ohne einen Verantwortlichen ist wie eine Aula ohne Lehrer!
Jede Familie hat im Durschnitt so ca. 5-7 Kinder und dadurch natürlich einen Haufen Arbeit. Wenn ich dann mal dezent das Thema Verhütung und Prävention anspreche, wie es bei uns mit Kindern in Deutschland ist und über ihre kleine „Kinderfabrik“ spreche, dann bekomme ich als Antwort, wir seien eben nicht so „heiß“ und hätten deshalb nur so wenige Kinder!
In allen Projekten schließen wir Verträge mit den Leuten ab, machen Pläne und versuchen alles, damit die Leute ihr Projekt so gut wie möglich durchführen können. Doch ein Vertrag im Urwald ist ein nasses Papier das sich langsam auflöst und damit, so scheint es, löst sich auch die Pflicht und teilweise das Interesse.
Doch wie kommt es dazu?
Ich vermute sehr, dass die Gemeinde früher sehr schlechte Erfahrungen mit anderen Organisationen gemacht haben und teilweise noch bis heute machen. Diese Organisationen haben den Leuten viel Geld geschenkt und eigene Traditionen aufgedrängt und sie Abhängig gemacht. Dies führte im Laufe der Zeit dazu, dass die Leute nur noch eines erwarten: Geschenke, Geschenke, Geschenke! Eine andere Organisation bestehend aus Studenten möchte „direkt helfen“ und sie konstruieren einige Häuser. Dabei nehmen sie der Bevölkerung ihre letzte Arbeit weg, für das man hätte eine kleine Gruppe einheimischer anstellen können. Über die Zeit führt dies schon dazu, dass die Leute erwarten, man würde ihre eigenen Häuser bauen.

Auf dieser Grundlage zu arbeiten ist natürlich nicht besonders einfach, man muss kleine Schritte machen und mit den Leuten in vielen langen Gesprächen erklären, dass der Weg aus der Armut nur durch Eigeninitiative und Motivation gelingt, denn durch Geschenke alleine bekommt keiner ein höheren Lebensstandard!
So hatte ich in der Zeit hier viele interessante Gespräche, habe erklärt, zugehört, diskutiert, und zusammen Projekte beschlossen.
Dabei habe ich mein Gegenüber immer als einen gleichwertigen Gesprächspartner gesehen und respektiert, auch wenn manchmal ernstgemeinte Fragen wie „Gibt es in Deutschland auch eine Sonne“ teilweise einen ernsten Umgang erschwerten. Ich habe gelernt, fragen so zu stellen, dass der Gegenüber darüber nachdenken muss und in ganzen Sätzen antwortet. Mir ist schnell aufgefallen, dass hier generell alle Fragen mit „Si“ beantwortet werden. Ich denke, dies ist die einzige Methode um die Menschen bei ihrem nächsten Schritt zu stützen. Einen Fuß vor den anderen zu setzen müssen sie dann allerding alleine, denn nur so können sie es schaffen, aus der Armut herauszukommen!