Seitgestern ist Elvio mal wieder in Iquitos. Ich habe einiges am Laptop zu erledigen, in der Zeit, in der er nicht hier ist. Doch da gestern die Sonne nicht schien, gab es heute keinen Strom um das Laptop zu laden. Somit hatte ich einen freien Tag! Ich überlegte mir zusammen mit Lara wie man diesen Tag gut nützen könnte und so fragen wir jemi, einen guten Freund von Elvio, ob er uns auf eine kleine Bootstour mitnimmt. Er willigt ein und so brechen wir auf, mit einem ausgeliehenen Kanu, doppelten Klamotten, jeans, Nobite geschützt und mit vorgekochtem Reis und Papajas auf und fahren über den großen Fluss, bis wir an einer kleinen Einmündung in einen Seitenarm abbiegen. Die Sonne scheint und ich habe mir den perfekten Tag für dieses Vorhaben ausgesucht. Die kleine Einmündung ist kaum zu entdecken. Sie ist von Millionen von Seerosenähnlichen Pflanzen und Schilf zugewachsen. Langsam bahnen wir uns den Weg durch diesen Eingang und schließlich ist der Fluss wieder frei und wir können in Ruhe weiterfahren. Links und rechts vom Ufer erstrecken sich riesige Bäume und man kaum in den dichten Urwald hineinsehen. Man sieht so viele Dinge und hat unendlich viele Eindrücke. Kleine Affen sitzen in einem hohen Baum und essen Früchte. Die Kerne lassen sie fallen und sie platschen ins Wasser. Sie spielen und schwingen sich geschickt und schnell von Ast zu Ast. Hoch oben in einem Baum sitzt ein großer Adler und beobachtet das Geschehen aus sicherer Entfernung in Ruhe. Als wir näher kommen fliegt er mit riesigen Schwüngen davon. Etwas später kommen wir an einem etwas ruhigerem Tier vorbei: ein Faultier versteckt sich in einem etwas kleinerem Baum. Es hält sich mit einem Arm am Ast fest und hat die Beine über den Baum geschlagen. Mit der freien Hand versteckt es sein Gesicht, denn es schläft und möchte nicht gestört werden. Was würde man auch sonst von einem Faultier erwarten? Ich erfahre, dass diese Art nur die Früchte von zwei verschiedenen Bäumen frisst. Die Früchte werden nur sehr langsam verdaut und beginnen im Bauch zu gären. Das Faultier ist förmlich betrunken und muss seinen Rausch ausschlafen.
Der Fluss ist voll von Fischen. Große Schwärme schwimmen knapp unter der Wasseroberfläche und bringen das Wasser zum Kräuseln. Jemi nimmt seinen Fischerspeer, ein langer Stab, an dessen Ende sich drei mit wiederhaken versehene Nägel befinden. Ganz ruhig wartet er den richtigen Moment ab und wirft ihn dann flach in das Wasser. Treffer! Zwei Fische hängen an den Haken. Dieses Schauspiel wiederholt sich einige Male, bis wir ein gutes Mittagessen zusammen haben. Er erklärt, dass man bei einem so großen Fischreichtum kein Köder brauche. Man könne einfach mit der Machete in das Wasser schneiden oder mit einem Stock direkt im Wasser einen Fisch erschlagen. Die Fahrt geht weiter, wir fahren unter Bäumen hindurch, die tief im Wasser verwurzelt sind. Zurzeit ist das Wasser sehr hoch, doch für die ganzen am Ufer gebauten Dörfer besteht noch keine Überschwemmungsgefahr. An hohen Bäumen, die einen weißlichen Stamm haben, sieht man, dass das Wasser in anderen Jahren auch noch weitere zwei Meter gestiegen ist. Schließlich kommen wir an einer Stelle an, die einen anderen Fisch verspricht. An eine schlichte, selbstgebastelte Angel mit Büroklammer als Haken wird ein Köder Befestigt. Sobald der Köder in das Wasser taucht, wackelt und zappelt es. Jemi zieht heftig- und an der Angel hängt ein großer Piranha. Es ist beeindruckend, wie gut die Einheimischen hier wissen, in welchen Gebieten sich welche Tiere aufhalten. Bei der Weiterfahrt muss man aufpassen, dass die geangelten Piranhas nicht in die Nähe der anderen Fische gelangen, denn sonst holen sie sich noch im Boot ihre „Henkersmahlzeit“. Man merkt, dass wir immer weiter von der Zivilisation wegkommen, mehr und mehr Moskitos vorfolgen uns und wenn man einmal eine Ruderpause macht, dann fliegen sie einem wie verrückt um den Kopf und suchen nach Lande- bzw. Stechmöglichkeiten. Ich werde schier verrückt mit 1000 wildgewordenen Stechmücken und ziehe mir zur Beruhigung meine Regenjacke über. Doch bei 30 Grad, feuchter Luft, starker Sonne und gleichmäßigem Rudern wird mir schnell glühend heiß in meiner mobilen Sauna. Wir werfen zwei Netze aus, kleine, grobmaschige Netze, in denen sich die Fische verhaken sollen. Dazu bindet Jemi das Eine Ende an einen Kleinen Ast und ich soll exakt gerade rückwärts navigieren. Doch das ist nicht gerade einfach. Ich muss das Wasser im Auge behalten, dass wir nicht gegen einen Baum im Wasser fahren, gleichzeitig aber auch Jemi beobachten, damit ich nicht zu schnell- oder zu langsam fahre. Schließlich ist das ca. 50 Meter lange Netz ausgeworfen und festgemacht.
Fast das gesamte Gebiet steht unter Wasser, doch unter einem großen Baum, mit tiefhängenden Ästen geht eine Kleine Böschung ab und wir gehen an Land. Es ist Himmel und Hölle zugleich: ein traumhafter Ausblich in den Regenwald und gleichzeitig wird man gejagt von unendlich vielen Moskitos. Ich entscheide mich die Situation als paradiesisch aufzufassen und ziehe meine Regenjacke aus, denn gestochen werde ich so oder so. Wir machen ein Feuer um unser selbstgefangenes Mittagessen zu braten. Da es im Regenwald keine Feuerstelle gibt, hat Jemi seine eigene Taktik, Feuer zu machen. Er legt eine Grundschicht aus dicken, parallelliegenden Stämmen. Darauf werden nach obenhin immer kleiner werdende Äste gelegt, ebenfalls in eine Richtung. Mit der Machete werden von einem mehr oder weniger trockenen Baum kleine Holzspäne abgeschlagen. Nach nur einem Streichholz brennt das Feuer. Der Qualm, dem man im deutschen Wald lieber aus dem Weg geht, ist hier eine Wonne, denn Moskitos findet man in den Rauchschwaden nicht! Wir wärmen den vorher schon gekochten Reis auf und Grillen die frischgefangenen Fische. Es ist köstlich! Danach machen wir uns auf und laufen durch den Urwald. Es ist unheimlich: Grillen zirpen so laut, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen kann, Hölzer knacken und die Vögel hoch oben in den Bäumen warnen ihre Artgenossen vor unserer Ankunft. Es ist erstaunlich Dunkel. Der strahlend blaue Himmel kommt nur an sehr wenigen Stellen durch das dichte Laubdach hindurch. Im Vergleich zum deutschen Wald ist der Regenwald pures Chaos, voller Leben, überall hängen Lianen von den Bäumen, die man als Seil benutzt, um Hausdächer zu befestigen, es gibt Bäume für Feuerholz, für Wände oder für Möbel, Lianen zum Körbe und Stühle flechten, Palmen für Fußböden, Rinde gegen Husten oder Bauchschmerzen. Auf dem lockeren, luftigen und leichten Waldboden laufen Blattschneiderameisen auf einem handbreiten „Trampelpfad“. Sie tragen 1Euro stück große Blätter, aus denen sie sich ihren Bau bauen, ein riesiger Berg, der fast so hoch wie ich ist und einen Durchmesser von 10 Metern besitzt. Die Oberfläche ist bedeckt von geschnittenen Blättern und einige Löcher bilden die ein- bzw. Ausgänge der Riesenameisen. die Bäume stehen sehr eng bei einander, wenn man nur 20 Meter läuft, bietet sich schon wieder eine ganz neue Situation, ein neuer Anblick! Es gibt Bäume die keinen Stamm vom Boden aus haben, sondern unzählige Wurzeln, die sich auf einem Radius von 5-10 Metern erstrecken, aus denen sich auf einer Höhe von 4-5 Metern ein Stamm bildet. Eine Wurzel eines anderen Baumesist unterarmdick und hängt wie ein Tau von einem Baum zum Nächsten. Sie ist elastisch und so stark, dass ich mich an ihr hin- und herschaukeln kann. Eine Efeupflanze hat sich um einen Starken, alten Baum gelegt und verschlingt ihn förmlich. Damit wir uns nicht verirren schlägt Jemi alle paar Meter ein Loch in die Rinde der Bäume. Bei der Rückkehr werden diese Wunden rot bluten und uns den Weg zurückweisen. Er fällt einen kleinen Baum und erklärt, dass man aus den Astgabeln dieses Baumes einen Mixer machen kann, um Kochbananen etc. beim Kochen zu häxeln. Alles wird kreativ verarbeitet! Wir ernten verschiedenste Früchte, als wären wir in einem Selbstbedienungsladen. Jemi erklärt, dass an in diesem Gebiet vor 100 Jahren ein Volk gelebt hat und dass im Boden sich noch Tonscherben befänden. Nicht eine „Grabeminute“ mit der Machete vergeht, bis er drei kleine Stücke eines Tongefäßes findet, ich bin sehr beeindruckt! Von der Vielfältigkeit der Natur, aber auch das Jemi alles so schnell und Zielstrebig findet. Als hätte er die Scherben vor einer halben Stunde dort eingegraben! Nach einer Stunde Fußmarsch -und heftig mit den Armen wedeln, machen wir uns langsam wieder auf den Rückweg. Wir suchen die Netze und Jemi findet sie sofort unter einem von vielen für mich gleichaussehenden Bäumen. Langsam und vorsichtig werden die Netze wieder eingeholt, 7 große und 6 kleine Fische haben sich darin verhakt.
Nach einer halben Stunde sind wir wieder auf dem großen Fluss und die Sonne kommt wieder zum Vorschein. Am Himmel fliegen Papageien. Eine bestimmte Sorte, die man niemals alleine sieht. Sie fliegen immer zu zweit in einer mini Formation, selbst ein großer Schwarm besteht aus vielen einzelnen Vogelpaaren. Sie haben ein gelb-blaues Federkleid und fliegen sehr hoch oben. Ein riesiger Vogel fliegt knapp über dem Wasser an uns vorbei. Jemi erzählt, dass dieser Vogel Hühner fressen würde und dass man u.a. deshalb die Hühner des Dorfes nachts einsperren muss. Wir kommen wieder zum versteckten Eingang des Flussarmes und Jemi sagt, dass der Grund für das Auftauchen der ganzen Seerosen der blockierte Flussarm sein. Seerosenhaben ein Wurzelgeflecht gebildet, das sich vom einen Ufer zum anderen erstreckt. In ihm bleiben die Seerosen hängen und können nicht weiter mit der leichten Strömung schwimmen. Mit der Machete schlagen wir immer kleine Stücke aus dem Schilf und schlagen so langsam eine kleine Schneise in den Wurzelteppich. Auch an Ästen von ins Wasserhängenden Bäumen bleiben sie hängen und in der Summe versperren sie den Weg. Doch um diese Oberschenkeldicken Äste abzusägen brauch man keine Motorsäge, mal wieder ist die Machete die Lösung des Problems. Die im weg hängenden Äste sind weg und die Seerosen können wieder fließen- die Blockade scheint gebrochen. Schon bald ist in der Ferne SMT zu sehen. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir Casa Lupuna sich gleich beim Schwimmen in den Sonnenuntergang entspannen.
Als ich am nächsten Tag aufwache kratzen meine Beine und Hände wie verrückt. Trotz Nobite imprägnierter Jeans, Sonnencreme und „Antimoskitospray“ zähle ich 120 Stiche auf meinem rechten Bein Knieabwärts. Meinen Händen ist es nicht besser ergangen, auf der rechten Hand zähle ich 40 Stiche und Sonnenbrand.
Die Natur ist gewaltig!
Adler
Ameisenbau
Der Fluss
Banaenbäume
Baum mit Selbstverteidigung
Wurzeln in der Luft
Blutender Taum mit Moskito
Vom Wasser ist stellenweise nicht viel zu sehen
Der Fluss
Ein von Efeu verschlungener Baum
Über dem "Lagerfeuer" wird der selbsgefangene Fisch Gegrillt
Fische springen aus dem Wasser, in dem Moment, als der Speer das Wasser durchbricht
Das ausgelegte Netz
Der Fang
Die wahnsinnig lauten Grillen
Ich beim Rudern
Überall geschützt, nur die Hände bleiben nicht verschont
Kochen mit Topflappen aus dem Regenwald
Jemi im Wurf
Baum auf Stelzen
Wurzelparadies
Der Lupuna Baum
Aus diesem BAum lässt sich sehr einfach ein Quirl herstellen
Das Netz wird eingeholt
Die Vögel, die immer nur Paarweise zu finden sind
Piranha fischen
Piranha
Plötzlich fängt es an zu regnen
Die Blüte der Seerosen
Mit Lianen lassen sich wunderbar Dächer befestigen, doch davon ein andermal
Am Baum kann man die Wasserhöhe der letzten Jahre sehen
Der Baum der den Weg versperrt, wird einfach mit der Machete zerteilt
Der Fluss ist freigeschnitten, ir können passieren
Bei Yuka handelt es sich um die Wurzel eines Baumes, die hier für vieles Verwendung findet. Vom Mittagessen über ein Alkoholisches Getränk, bis hin zum Mehl, alles kann man aus dieser Wurzel herstellen:
Die Yuka
Das Kochen benötigt die geringsteVorbereitung:
Schritt1: Man erntet die Wurzel. Die kleinen Bäume lassen sich leicht mit samt Wurzel aus dem lockeren Waldboden herausziehen. An jedem Baum hängen einige unterarmdicke, ca. 20-40 cm. Lange Wurzeln. Man schneidet sie ab und steckt den kleinen Baum direkt wieder in die Erde. Die Yuka wird eine neue Wurzel bilden. Danach muss sie Geschält werden, denn der äußere Rand ist ungenießbar.
Nächster Schritt: Kochen und dann in kleine Stücke teilen. Passend dazu sind Gemüse und Fisch.
Die Produktion von Masato, auch Chicho genannt:
Zunächst Schritt 1 wie oben.
Schritt2: die geschälten wurzeln werden in Wasser gelegt und saugen sich einen Tag damit voll.
Zum einweichen der Yuka nimmt man einach ein altes Kanu
Schritt3: Die vollgesogene Yuka wird in ein aus Bananenblättern gemachten Behälter gegeben und Abgedeckt. So müssen sie für 2 weitere Tage ruhen.
Aus BAnanenblättern wird ein Behälter für das Gären gebaut
Blick in das Bananenbett
Schritt4: Aus dem schon leicht vergorenen Yukabrei wird der sich in der Mitte befindende holzartige Stab entfernt.
Nächster Schritt: In diesem Vorgang sitzen ca. 10 Frauen um einen großen Bottich herum und kauen den Brei, vermengen ihn mit Speichel und spucken ihn dann in einen Großen Eimer. Dieser wird dann dicht verschlossen und für weitere 2-3 Tage stehen gelassen. Der dabei entstandene alkoholische Sud wird dann Schalenweise auf Festen wie unter anderem Karneval angeboten.
Die vergorene Yuka
So sieht eine Yukawurzel nach 2 Tagen ruhen aus.
Die Produktion von Arine, Yukamehl:
Zunächst Schritt 1-4, s.o.
Schritt 5: Die Masse wird in einen großen, stabilen Sack gegeben und durch hohen Druck, der durch Hebel und dem Gewicht von Baumstämmen erzeugt wird, das Wasser wieder herausgepresst. Nach zwei Tagen ist es nur noch leicht feucht und wird auf dem Boden in der Sonne weiter getrocknet und dann gesiebt.
Der Stab in der Mitte muss entfernt werden
Der Yukabrei
Die Presse
Das Mehl wird gesiebt
Schritt6: Ein großes Feuer wird angezündet und die Yuka in einem Großen Behälter darüber 4 Stundenlang getrocknet. Es bilden sich kleine Kügelchen und man muss ständig Wenden, denn die Gefahr besteht, dass es schnell anbrennt.
Das schon fast fertige Mehl
Jetzt kann das Entstandene Mehl verkauft werden. Man kann es zum Backen nehmen, oder in einem Becher mit viel Zucker als Getränk trinken.
Doch an den Geschmack von Yuka als Drink muss ich mich erst noch gewöhnen.