Freitag, 15. April 2011

Die Reise mit der Lancha

Die Reise mit der Lancha (=Fähre)
Mein Plan war es, Samstagabends nach dem Fußballspiel meine Sachen zu holen und zum Hafen in Iquitos zu fahren, um dann mit der Fähre 24 Stunden bis nach Prado, eine kleine Stadt ca. 2 Stunden mit dem Boot von meiner Gemeinde entfernt, zu fahren. Dies hätte den Vorteil, dass ich nicht noch eine Nacht Hotel bezahlen müsste, und ich die Erfahrung machen könnte, auf dem großen Amazonas zu reisen. Aber hier kommt alles anders als man denkt. So erfahre ich, dass die Fähre heute schon früher losgefahren ist und sie, weil morgen Sonntag ist, gar nicht fahren wird. Was jetzt? Noch länger in Iquitos bleiben? Ich habe aber schon alle meine Aufgaben Erledigt! Die Lösung ist Folgende: Die Entfernung zwischen Iquitos und Nauta ist nur 1-2 Autostunden. Da aber der Fluss so viele Windungen macht, braucht das Schiff für die Strecke ca. 12 Stunden. So fahre ich mit einem sehr klapprigen Taxi, das erst losfährt, wenn es voll bzw. übervoll ist nach Nauta. Ich muss ziemlich lange warten und so geht die Fahrt erst los, als es schon dunkel ist. Wir sind zu acht, vorne 3, hinten vier, im Kofferraum noch einer und auf dem Dach ist ein halber Plastikschüsselsupermarkt festgeschnallt. Die Türe wird mit einem Seil gesichert, Sicherheitsgurte Fehlanzeige und die Geschwindigkeitsanzeige und Kilometerzähler haben bei 670.000 km. den Geist aufgegeben. Mich würde interessieren, wie weit das Auto seither schon gefahren ist! Nachts ist die Fahrt ziemlich gefährlich, da auf der unbeleuchteten Straße oft Hunde liegen und die Leute aus den zahlreichen, an der Straße liegenden Dörfern über sie Straße laufen, bzw. Ladung für den nächsten Morgen an den Rand stellen. Auch die Schlaglöcher und Bodenwellen sind nicht ungefährlich doch der Fahrer zieht es meistens vor, mit dem Auto nach einer Bodenwelle aufzusitzen, als vorher abzubremsen. Aber wie auch immer, ich komme heil in Nauta an und gönne mir ein paar Stunden Schlaf im Hotel, bevor die Fähre dann irgendwann morgens zwischen 4 und 7 kommen soll.
Doch das Boot hatte es wohl nicht sehr eilig und so sind die einzigen, die um 4 Uhr schon auf den Beinen sind, die Marktbesitzer, die ihre Kleider, Lebensmittel, Schulhefte und Flip Flops in der Hoffnung auf ein frühes Schnäppchen schon alle fleißig aufbauen. Und dann kommt sie endlich. Unübersehbar fährt das riesige Schiff mehr oder weniger sanft auf das Ufer auf und wartet be- bzw. entladen zu werden. Dies geht nur über ein Holzbrett, so eine Katzentreppe, die vom Deck gelassen wird, denn das Hauptdeck ist fünf Meter über der Wasseroberfläche.
Der vordere Teil der Fähre ist für Güter gedacht und nicht überdacht. Heute Morgen befindet sich nicht viel Ladung auf dem Schiff, ein Auto, einige Kanus, Bretter, und ein paar Paletten voll mit Säcken. An einem klapprigen, alten Holztisch sitzt ein Mann mit einem mit Geld prallgefüllten Brustbeutel. Er verkauft die Fährentickets und ich kaufe mir eines bis nach Prado und versichere mich noch einmal, dass die Fahrt auch wirklich dort vorbeigeht, denn dort soll ich von meinen Freunden aus San Martin abgeholt werden.
Die Fahrt beginnt, ich klettere auf das 4. Deck und befinde mich nun auf dem Dach des Bootes, neben dem Steuerhäuschen. Es ist schwindelerregend hoch und man kann von hier aus über die ganze Stadt sehen denn dort gibt es max. 2 geschossige Häuser. Mein Platz befindet sich auf dem 3. Deck, denn das 2. Ist schon voll. In drei Reihen hängen hunderte Hängematten von der Decke. Tüten liegen am Boden, Kinder spielen mit Flaschendeckeln, Babys schreien und Hühner gackern verschreckt in der Ecke. Aus der Küche kommt Fisch und Reisgeruch, dass Frühstück wird gerade zubereitet. Im 2. Deck ist es sehr laut, der Motor stinkt von unten herauf und bringt das ganze Schiff in ein gleichmäßiges Brummen. Ich klettere auf das 3., wo es schon viel ruhiger ist und bemerke ein kleines Boot das parallel zur Fähre fährt und signalisiert, langsamer zu fahren, denn bei dem Tempo kann selbst dieses modere Boot nicht mithalten. Die Motoren werden ein wenig gedrosselt und dann klettert noch ein verspäteter Passagier an Deck, es sieht sehr wackelig aus und bei einem kleinen Fahrfehler würde das Bötchen unter der Fähre verschwinden, ohne dass man was mitbekommen würde. Es klappt alles gut und ich lege mich erst einmal in meine Hängematte um einige Stunden Schlaf nachzuholen.
Dann kommen wir in San Regis vorbei. Als die Fähre anlegt warten schon ungefähr alle Frauen und Mädchen aus dem gesamten Dorf im Matsch am Ufer um alle gleichzeitig mit ihrem Essen, das sie zu verkaufen haben, auf dem Kopf oder in der Hand auf die Fähre zu klettern. Dabei laut anbietend was sie zu verkaufen haben. Hay: (Es gibt) Ananas, Erdnüsse, Limonade, Kuchen, Fisch, fertige Gerichte in Bananenblättern, Kokosnüsse, Zuckerrohr, Popcorn und allerlei Tropenfrüchte. Sie dürfen dann ca. 5 min mitfahren, bis die Fähre ein zweites Mal anlegt, damit die ganzen Verkäuferinnen die das Boot gestürmt haben wieder aussteigen können. Alle essen gemütlich und die Fahrt geht weiter. Ungefähr alle 30 Min. hält die Fähre kurz an, um Passagiere und Ladung aufzunehmen. In einem Dorf stehen viele große schwarze Kisten und um sie aufzuladen benötigt es viel Zeit und Muskelkraft.  Zu zehnt ziehen und schieben sie, bin eine Kiste an Bord ist. Dadurch verzögert sich die Weiterfahrt bis auf weiteres. Es ist schon unglaublich, was diese kleinen Peruaner alles schleppen können. Mir riesigen Reissäcken auf dem Rücken oder Brettern auf den Kopf geschnallt laufen sie in der prallen Mittagsonne hin und her. Bei einem solchen Halt ist die Stimmung immer unglaublich aufgeheizt und stressig. Es ist laut, ich höre die Leute schreien und sich zurufen, aus einer Richtung kommt dumpf der Bass einer Soundanlage, ständig wird gepfiffen um Anweisungen zu erteilen.
Etwas später  gibt es Mittagessen, ich nehme meine Tupperschüssel (ein sehr wichtiges Utensil auf meiner bisherigen Reise) und gehe auf das zweite Deck. Zum Essen gibt es „ja“ oder „nein“ und wenn man „ja“ wählt, so bekommt man eine große Portion Reis mit Hühnchen und Kochbananen, die Hauptmahlzeit in Städten wie Iquitos wie ich finde. Nach dem Essen frage ich den Kapitän persönlich, der sich gerade aus seiner Kabine herauslehnt, wann wir denn in Prado wären. In 2-3 Stunden versichert er mir. Ich gehe wieder an Deck und sehe eine Menschentraube um den Esstisch herumstehen, die Küche hat sich in ein Casino verwandelt und nun spielen alle Karten oder Bingo. Diese Beobachtung habe ich auch schon oft in Iquitos gemacht, wenn ich in die meist offenen Türen hereinschaue, sehe ich oft einen kleinen Hinterhof in dem Männer sitzen und um Geld spielen.
Wenn ein kleineres Boot von der Fähre überholt wird, so muss dieses den Motor drosseln und sich auf ein Manöver gefasst machen, um nicht von den Bugwellen der Fähre zu kentern, das Geschaukele habe ich bereits auf einer anderen Fahrt in einem solchen Boot erlebt.  Nach zwei Stunden packe ich meine Sachen und mache mich zum Gehen bereit, doch eine weitere Stunde verstreicht, ohne dass wir anhalten.  Ich werde schon leicht nervös, möchte aber dem Kapitän nicht auf die Nerven gehen, außerdem können hier 2-3 Stunden auch gut 3-4 Stunden heißen. Nach weiteren 30 Minuten frage ich schließlich, wo denn nun Prado sei und ich bekomme gesagt, es würde bereits hinter uns liegen, es wäre eine Abzweigung gewesen, doch die Fähre wäre sie nicht gefahren, weil es sich nicht lohnen würde oder so. Mir wird es heiß und kalt und ich versuche mit ihm zu Diskutieren, dass ich irgendwie nach Prado komme, schließlich steht das ja auch als mein Fahrtziel auf meinem Ticket. Aber die einzige Möglichkeit scheint es, ist bei der nächsten Station, einer größeren Stadt auszusteigen und mit dem „Taxi Boot“ nach Prado zu fahren. Dies wäre extrem Teuer und außerdem würden sich meine Abholer wundern, wo ich bleibe.
Eine junge Frau spricht mich an und will wissen, wo ich denn eigentlich hin will, wo ich herkomme und was ich hier so mache. Eigentlich ist mir gerade nicht nach Kaffeekränzchen zu Mute doch sie ist sehr nett und erzählt mir, dass sie aus der nächsten Stadt kommt. Sie macht den Vorschlag, dass ich mit Radiofonie, einer Art Funksystem vom Hafen aus in Prado bzw. San Martin anfunken kann, um Bescheid zu geben, wo ich bin. Außerdem kennt sie San Martin, (ein Wunder bei den vielen Dörfern hier) denn sie ist Fußballerin und hat dort schon einmal ein Turnier gehabt. Sie ist für die hiesigen Verhältnisse sehr aufgeschlossen und modern und bietet mir an, in ihrem Haus auf meine Abholer zu warten. Doch soweit musste es nicht kommen denn auf einmal werde ich von allen Seiten gerufen: „joven, joven!“ (=Junge, gilt für alle Alterslassen). Die Fähre lenkt mit viel Schwung auf das Ufer zu. Da hier weit und breit kein Dorf zu sehen ist, wundert es mich, dass ich kommen soll und dann fährt sie einfach gegen die Bäume, die am Flussufer stehen. Mit lautem Knacken gehen sie zu Bruch und werden einfach gefällt, so eine Wucht hat die Fähre. Dann sehe ich es, ein ganz kleines Boot, dass gerade sehr heftig durch die Bugwellen durchgeschüttelt wird. Dort sitzen sie, meine Freunde, sie haben es sich schon gedacht, dass die Fähre heute nicht in Prado halten wird. So komme nach weiteren zwei Stunden Fahrt sehr erleichtert in San Martin an.
Was für eine Fahrt, und das gleich bei meiner „Premiere“!

Die Lancha in Nauta

Ware be- entladen

Bingo und kartenspielen auf dem Esstisch

Das volle Hauptdeck

Die Lancha

Alle Verkäuferinnen müssen wieder aussteigen und zurück in ihr Dorf

Endlich bei den Freunden im Boot!

Ich in der Hängematte

Mein Platz, klassisch mit Tüten reisen!

Die Verkäuferinnen in San Regis

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